Mein Name ist Margareta* und ich bin ess-brech- und mehrfachsüchtig.
Wenn ich heute so zurückblicke, war ich bereits als junges Mädchen abhängig von Umständen, Menschen, Dingen oder Substanzen, um mich glücklich fühlen zu können. Um mich überhaupt fühlen zu können. Mein innerstes und vertrautestes Gefühl ist ein Gefühl von Leere. Von Unvollkommenheit. Von Einsamkeit.
Seit ich mich erinnern kann, versuchte ich mit allen mir zu Verfügung stehenden Mitteln, diese Leere zu füllen. Überall wo ich hinkam, suchte ich Verbundenheit, Familie, Geborgenheit.
Die Schulzeit war für mich eine wunderbare, glückliche Zeit, denn die Klassenkameraden waren für mich Familie. Ich ging unheimlich gerne zur Schule – nicht, weil mich das, was wir dort lernten, interessierte, sondern weil ich mich geborgen fühlte. Weil ich dort jemand war, Anerkennung erfuhr. Ich war schon damals süchtig nach Anerkennung, nach Aufmerksamkeit und ich war bereit, mich zu verbiegen und zu verraten, um dieses Gefühl zu bekommen. Und ich ging gerne zur Schule, da ich dort immer einen Schwarm hatte, den ich anhimmeln konnte. Und der mir das Gefühl gab, einzigartig und toll zu sein. Denn das war meine erste spürbare Sucht. Die Sucht nach Anerkennung. Die Sucht verliebt zu sein.
Als Jugendliche, nach der Pubertät, verliebte ich mich zwanghaft. Ich war süchtig nach dieser berauschenden Wirkung des Hormoncocktails, der durch den Körper gepumpt wurde, wenn ich an den Jungen meiner Wahl dachte. Herzrasen, rote Wangen, seliges Grinsen – und meine Welt war in Ordnung. Wie es aber so ist, hielt dieses Gefühl nicht dauerhaft und so wechselte ich in regelmäßigen Abständen meine Freunde. Kaum bescherte mir eine Beziehung keinen Kick mehr, verliebte ich mich flugs in den Nächsten und wechselte meine Beziehungspartner in Abständen von ca. 1,5 Jahren. Meine Jugend verbrachte ich, wenn man so will, im Hormon-Dauerrausch. Hatte ich mal keine Beziehung, weil mich der Junge früher verlassen hat, landete ich im emotionalen Sumpf. Grau, düster, Weltuntergangsstimmung, Trägheit, Leere und ein Gefühl von Einsamkeit, die mich von innen aufzufressen drohte. Leid, das dem tatsächlichen Ereignis nicht im Geringsten angemessen war. Ich hatte meine Droge verloren, meinen Kick, nicht meinen Freund. Denn die Menschen waren austauschbar. Es ging mir nie wirklich um den Menschen, es ging mir um den Kick, den er mir verschaffte.
Nach der Matura, in meinen Anfang 20ern, verlor ich komplett den Boden unter den Füßen. Es brach alles weg, was mir Halt gab. Die Schulzeit war für mich Halt, Struktur und soziale Eingebundenheit. Als das wegfiel, ging es mit mir bergab. Es dauerte nicht lange, bis die Bulimie bei mir ausbrach. Eine sehr finstere Zeit. In dieser Zeit zog ich auch von zu Hause aus und verbrachte bald meine Tage nur noch mit Fressen und Kotzen. Noch nie zuvor in meinem Leben spürte ich eine derart alles verzehrende Einsamkeit. Ich löste mich förmlich auf, schien nicht mehr zu existieren. Ich fühlte nichts mehr, ich spürte mich selbst nicht mehr. Alles was ich noch spürte, war maßloser Hunger. Ein Hunger, den ich mit nichts stillen konnte. Ich fühlte mich unansehnlich, dick, unattraktiv, ungeliebt – ich wollte nicht mehr rausgehen, mich nicht zeigen, da ich das Gefühl hatte, alle finden mich hässlich. Mein Selbstbild war völlig verrückt.
So ging das ungefähr zwei Jahre – die Hölle auf Erden – bis ich mit Drogen in Berührung kam. Danach war für mich erstmal wieder alles gut. Ich hörte auf zu kotzen, hatte wieder eine (vermeintliche) Familie, nach der ich mich stets so sehr sehnte, fühlte Verbundenheit und für kurze Zeit war meine Welt in Ordnung.
Was für ein Trugschluss!
Zu den Drogen kam nach und nach jede Menge Alkohol und ehe ich mich versah, war ich mittendrin, im Alkohol und Drogenkarussell. Auch wenn mein Leben anfangs so cool wirkte, ich mich so anders fühlte, so aus der Norm…. die Einsamkeit holte mich sehr bald wieder ein. Und es wurde wieder dunkel und sumpfig um mich herum.
So ging das insgesamt ca. 15 Jahre. Die Suchtmittel wechselten sich ab, ich betrieb Suchtverlagerung – einzig der Alkohol blieb eine Konstante. Rauschtrinken wurde abgelöst durch heimliches Trinken. Ich log und betrog und lebte jahrelang eine riesengroße Lüge. Die Last drohte mich irgendwann zu erdrücken. Bis ich 2007 zu AA fand und das erste Mal mit den Schritten in Berührung kam. Ich spürte sofort, dass es dort etwas gab, das sich heil anfühlte. Es dauerte weitere 8 Jahre, bis ich trocken werden durfte.
Ich ging regelmäßig in die Meetings, übernahm Dienste und arbeitete im Programm. Und doch, in meinem dritten trockenen Jahr wurde ich heftig rückfällig mit einer alten Bekannten – Bulimie. Und ich war verzweifelt! Was sollte ich denn noch tun, um endlich nüchtern zu werden? Schließlich fand ich neben AA auch noch den Weg zu OA und es war so heilsam, Gleichgesinnte zu finden. Ich arbeitete die Schritte noch einmal durch, nun mit dem Fokus auf Ess-Brechsucht. Die regelmäßigen Meetings, der Austausch tat so gut.
Auch da dauerte es wieder fast zwei Jahre. Aber heute bin ich seit gut 1,5 Jahren frei von Fressanfällen. Immer nur für heute muss ich nicht mehr über der Kloschüssel hängen, wenn ich in einem Konflikt bin. Ich muss zwischenmenschliche Konflikte nicht mehr mit Essen und anschließendem Erbrechen lösen. Ich habe ein wundersames Heilmittel gefunden in meinem Leben – Dankbarkeit! Mein persönlicher Schlüssel zum Glück, zu Gelassenheit, zu Frieden.
Auch wenn nicht immer alles gut ist und ich auch heute noch Tage habe, die sich grau und manchmal auch sumpfig anfühlen, so habe ich eine Lösung. Die Lösung gibt mir unser Programm. Ich habe Werkzeuge in der Hand, die wirklich wirken, sofern ich sie anwende. Und dafür bin ich jeden Tag dankbar. Aus vollem Herzen.
(* Name geändert)