Ich glaube es funktioniert …

Ich bin Vera* und ess-süchtig. Ich hatte vor kurzem noch fast 150 kg, Tendenz steigend und schreckliche Angst, dass ich nicht aufhören kann, mich zu überessen. Mein Körper leidet unter meinem Übergewicht. Ich fürchte, dass mich meine Sucht früher oder später umbringt, wenn ich keine Genesung finde. Dabei möchte ich doch so gerne leben.

Ich habe eine kleine Tochter und bin glücklich verheiratet, habe Eltern, Schwestern, nette Schwiegerleute. Ich möchte meine Tochter aufwachsen sehen, für sie da sein. Mit meinem Mann im Alter auf unserer Terrasse sitzen und in die Ferne schauen. Aber trotzdem ist da immer wieder diese Gier, nochmal zum Kühlschrank zu gehen und mir noch etwas zu essen zu holen, nochmals in die Naschlade zu greifen. Über den Tag verteilt kommen dabei unglaubliche Mengen zusammen – und das Tag für Tag. Es gibt Zeiten in denen die Gier schwächer ist, dann stagniert mein Gewicht und dann kommen wieder Zeiten in denen mich die Gier vollends übermannt, dann nehme ich in wenigen Wochen wieder 10 kg zu. Als junges Mädchen hatte ich versucht, mich nach meinen Essorgien zu erbrechen und war enttäuscht, als ich es nicht konnte. Es ging einfach nicht, rein körperlich, es kam einfach nichts. So musste ich dabei zuschauen, wie ich immer dicker und dicker wurde. Die ersten Jahre war es noch eher ein kosmetisches Problem und ich legte mir ein dickes Fell zu und kam einigermaßen damit zurecht. Doch mit zunehmendem Alter und zunehmendem Gewicht kamen Krankheiten dazu, schmerzende Gelenke, Leberprobleme, Schwangerschaftsdiabetes u.a. Viele OAs erzählen von ihren Odysseen an Aktivitäten, um ihre Gewichtsprobleme in den Griff zu bekommen – dabei kann ich nicht viel mitreden. Meine Hauptstrategie im Umgang mit meinen Gewichtsproblemen war die Verdrängung. Ich gab mich stark und selbstbewusst und wurde selten darauf angesprochen und wenn es doch jemand tat, dann reagierte ich aggressiv, sodass das Thema schnell vom Tisch war. Über weite Strecken meines bisherigen Lebens war mir mein Essproblem überhaupt nicht bewusst und wenn ich doch darauf gestoßen wurde, dann lenkte ich mich schnell wieder ab.

Vor Jahren war ich aufgrund einer Erschöpfungsdepression gezwungen, eine Therapie zu beginnen und nach und nach wurde auch meine Esssucht ein Thema. Lange Zeit hatte ich die Hoffnung, dass die Therapie mich auch von meiner Ess-Sucht heilen würde, aber dem war auch nach vielen Jahren nicht so. Auch mein Therapeut bestärkte mich mit der Zeit darin, mir zusätzlich suchtspezifische Hilfe zu suchen.

Vor 2 Monaten kam ich zu OA. Ich lernte die Telefonmeetings kennen und weil ich außerhalb wohne und familienbedingt nicht immer so wegkomme, sind diese ideal für mich. Am Anfang half es mir, jeden Tag ein Meeting zu besuchen und es führte dazu, dass ich mich die ersten 3 Wochen tatsächlich streng an meinen Essplan halten konnte und abstinent war. Danach wurde es schwieriger. Ich bemerkte, dass meine Gedanken in den Meetings abschweiften und hatte das Gefühl, dass mir die täglichen Meetings zu viel wurden. Ich begann wieder zu verdrängen und hatte Rückfälle. Ich suchte mir eine Sponsorin, die mich anleitet in den Schritten zu arbeiten, und begann an manchen Tagen einfach nur zu schreiben. Auch habe ich begonnen in den Meetings Telefonnummern auszutauschen und mit anderen OA-Mitgliedern zu telefonieren. Dadurch ist meine Beschäftigung mit OA vielfältiger geworden und auch das hilft mir am Ball zu bleiben. Ich weiß, dass ich am Anfang eines Weges stehe und auch, wenn an mir bis jetzt noch nicht das große Wunder geschehen ist, so habe ich in OA eine Gemeinschaft gefunden, in der ich Beistand, Hoffnung und einen Weg zur Genesung gefunden habe. Ich glaube es funktioniert.
(*Name  geändert)